Achtsamkeit ist en vogue
– und erhält zunehmend auch wissenschaftlich Rückendeckung: Drei
Viertel aller Studien zur positiven Wirkung von Achtsamkeit als ein
wesentlicher Bestandteil der Meditation wurden in den vergangenen zehn
Jahren veröffentlicht. Achtsamkeit verspricht mehr Zufriedenheit und
Freude im Leben. Aber was genau steckt hinter dem Modewort, das Einzug
in viele Lebensbereiche genommen hat und als Allzweckwaffe zur
Verbesserung der Lebensqualität erscheint?
Den Moment achten ohne zu bewerten
Achtsamkeit bedeutet im Hier und Jetzt zu sein und
zwar nicht nur körperlich, sondern auch mental. Das ist für die meisten
Menschen kein Normalzustand. Viele hängen mit ihren Gedanken entweder
in der Vergangenheit fest, beschäftigen sich mit Sorgen oder denken über
die Zukunft nach. Dieses Denken ist meist von der Hoffnung begleitet,
dass sich irgendwann ein zufriedener Zustand einstellen wird.
Ein achtsamer Mensch hingegen achtet auf den
Moment, ohne ihn jedoch zu bewerten. Das ist der zweite entscheidende
Aspekt der Achtsamkeit. Wir neigen dazu, alles permanent zu bewerten.
Achtsam sein bedeutet, diese Bewertung sein zu lassen und sich auf das
zu konzentrieren, was gerade außerhalb der Gedanken ist. Eine einfache
Übung dazu ist, sich auf den Atem zu konzentrieren und dadurch Distanz
zu den Gedanken zu schaffen.
Mittlerweile sind auch viele Wissenschaftler davon
überzeugt, dass mit Achtsamkeit – oft wird auch von
Achtsamkeitsmeditation gesprochen – das Wohlbefinden gesteigert werden
kann. Der Diplompsychologe und Meditationsforscher Ulrich Ott von der
Universität Gießen beschreibt die positive Wirkung mit folgendem Bild:
"Ich gehe beim Meditieren auf einen Berg und schaue hinunter ins Tal.
Das heißt, ich bin nun in einer Position, die ein bisschen dem
Alltagsgeschäft enthoben ist und kann auf das Ganze herunterschauen."
Dadurch seien wir nicht mehr völlig mit den
eigenen Gefühlen und Gedanken identifiziert. Dieser Abstand lasse ein
zunehmendes Vertrauen entstehen, dass "sich sogar die größten inneren
Dramen wieder auflösen, wenn wir es schaffen, nicht auf die
entsprechenden Gedanken einzugehen", sagt der Psychologe Peter
Malinowski von der Universität Liverpool. Das wiederum führe langfristig zu mehr Zufriedenheit und Lebensfreude.
Vom Buddhismus in die Medizin
Für buddhistische Mönche gehört Meditieren zum Alltag
Das Konzept der Achtsamkeit stammt aus dem Buddhismus
in dem Meditationen eine große Rolle spielen. Die Achtsamkeit ist eine
Haltung, die allen Meditationen zu Grunde liegt. Keine Meditation kommt
also ohne Achtsamkeit aus, jedoch kann man auch ohne zu meditieren
achtsam sein. Insofern vermischen sich häufiger die Begrifflichkeiten.
Wenn etwa Wissenschaftler die Wirkung von Meditation erforschen, ist
damit zwangsläufig auch die Achtsamkeit gemeint.
Der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn gilt als Vater
der modernen Achtsamkeitspraxis in den westlichen Kulturen. Kabat-Zinn
lehrte an der University of Massachusetts und
entwickelte Ende der 1970er Jahre das medizinische Achtsamkeitstraining
MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction), was Stressbewältigung durch
Achtsamkeit bedeutet. Kabat-Zinn war überzeugter Schüler des
Zen-Buddhismus. Er orientierte sich bei der Erstellung seines Programms
vor allem an Yoga-Haltungen und Elementen der buddhistischen Vipassana-Meditation, wo es darum geht, sich auf den eigenen Atem zu konzentrieren.
Kabat-Zinns Achtsamkeitspraxis kommt ohne
philosophisch-religiösen Überbau aus. Sein MBSR-Programm ist
wissenschaftlich vergleichsweise gut erforscht und evaluiert. Es soll
auch Menschen ohne spirituellen Bezug bei unterschiedlichsten Problemen
helfen. Achtsamkeitspraxis ist Bestandteil neuerer
verhaltenstherapeutischer Verfahren und wird in den USA und in Deutschland bereits in Kliniken angewandt.
Achtsamkeit lässt sich lernen
Beim Radfahren die frische Luft wahrnehmen
Das MBSR-Achtsamkeitstraining nach Jon Kabat-Zinn
ist die Methode, die am weitesten verbreitet ist, um Achtsamkeit zu
lernen. Ein solches Training läuft in der Regel über acht Wochen. In der
Gruppe lernen die Teilnehmer Achtsamkeit, indem sie meditieren, Yoga
üben und den sogenannten body scan durchführen.
Dabei beobachten sie systematisch, was sie an verschiedenen Stellen im
Körper gerade wahrnehmen, ohne dies zu bewerten.
Beim Meditieren geht es vor allem um die
Konzentration auf den Atem. Die wöchentlichen Sitzungen sind zwei bis
drei Stunden lang. Zudem sollen die Teilnehmer täglich am besten 45
Minuten allein üben. Vor allem die Übernahme des Trainings in den Alltag
erfordert viel Disziplin.
Michael Huppertz, Psychiater und Psychotherapeut,
ist davon überzeugt, dass man Achtsamkeit nicht nur mithilfe eines
strengen MBSR-Trainings lernen kann, sondern auch durch einfache
Alltagsübungen. Statt täglich mindestens 30 Minuten zu meditieren, was
vielen Menschen – jedenfalls anfangs – sehr schwerfällt, empfiehlt
Huppertz achtsame Momente auf den gesamten Tag zu verteilen. Huppertz'
Vorschläge für solche Momente umfassen schon das Aufstehen, bei dem
morgendliche Routinen beobachtet werden sollen.
Andere Gelegenheiten, Achtsamkeit in den Alltag zu integrieren, können sein:
•unter der Dusche auf das wärmende Wasser konzentrieren, anstatt über die To-Do-Liste des Tages nachdenken
•beim Frühstücken auf den Geschmack des Essens fokussieren – nicht auf den Einkaufszettel
•auf dem Weg zur Arbeit beim Radfahren die frische Luft wahrnehmen oder in der Bahn bewusst auf die Umgebungsgeräusche achten
•unter der Dusche auf das wärmende Wasser konzentrieren, anstatt über die To-Do-Liste des Tages nachdenken
•beim Frühstücken auf den Geschmack des Essens fokussieren – nicht auf den Einkaufszettel
•auf dem Weg zur Arbeit beim Radfahren die frische Luft wahrnehmen oder in der Bahn bewusst auf die Umgebungsgeräusche achten
Achtsamkeit kann auch bedeuten, Alltägliches aus
einer anderen Perspektive zu betrachten und Routinen zu durchbrechen:
etwa einen anderen Weg als üblich zu nehmen, Musik zu hören, die man
sonst nie hört, oder mit der linken anstatt der rechten Hand zu essen.
Wie bei jedem Hype hat auch der um Achtsamkeit dazu geführt, dass es Ratgeber – als Buch, CD
oder Video –, und Fortbildungsangebote en masse gibt. Auch Handy-Apps
werden angeboten, die Übungen vorschlagen und daran bei Bedarf
regelmäßig erinnern. Insbesondere bei teuren Kursen sollte man genau auf
die Qualifikation des Anbieters schauen. Oft lohnt auch die Nachfrage
bei der Krankenkasse, ob die Kosten für einen solchen Kurs zumindest
teilweise übernommen werden beziehungsweise mit welchen Anbietern die
Krankenkassen zusammenarbeiten.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=yNi5m14QMFU
„Das Glück ist ein Schmetterling“, sagte der Meister. „Jag ihm nach und er entwischt dir. Setz dich hin und er lässt sich auf deiner Schulter nieder.“ „Was soll ich also tun, um das Glück zu erlangen?“, fragte der Schüler.
„Du könntest versuchen, dich ganz ruhig hinzusetzen – falls du es wagst!“
Anthony de Mello