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http://www.welt.de/vermischtes/article118147140/Auf-dem-besten-Wege-in-die-absolute-Verbloedung.html
"Auf dem besten Wege in die absolute Verblödung"
Nichts
für's Leben, sondern für die Wirtschaft lernen wir – das ist die
provokante These von Bernhard Heinzlmaier, der seit Jahrzehnten
Deutschlands Jugend wissenschaftlich analysiert. Die systematische
Verdummung der Jungen, die "mit begrenztem Horizont und engem Herz" in
eine unmenschliche Leistungsgesellschaft gedrängt werden, prangert er
auch in seinem Buch: "Performer, Styler, Egoisten: Über eine Jugend, der
die Alten die Ideale abgewöhnt haben" an. Der 53-Jährige ist Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien.
Die Welt: Herr Heinzlmaier, wie verblödet ist unsere Jugend?
Bernhard Heinzlmaier: Sie
ist auf dem besten Wege, in die absolute Verblödung geführt zu werden.
Wenn unser Erziehungs- und Bildungssystem nur noch nach den ökonomischen
Gesichtspunkten von OECD und Pisa funktionieren muss, rechne ich den
Jugendlichen keine guten Chancen aus.
Die Welt: Sie schreiben, dass die heutigen Bildungsstandards von der Wirtschaft diktiert würden. Was heißt das?
Heinzlmaier: Bei
der Zusammensetzung der Bildungsinhalte zählt nur noch die
wirtschaftliche Logik. Die Lehrinhalte werden danach ausgewählt, was
später auf dem Arbeitsmarkt auf jeden Fall verwertbar ist. Seit Jahren
findet in den Schulen eine Verlagerung zugunsten naturwissenschaftlicher
und betriebswirtschaftlicher Inhalte statt. Unterrichtsstunden in
Musik, Literatur und Kunst werden gekürzt, weil diese Fächer kein im
ökonomischen Sinne nützliches Wissen vermitteln.
Die Welt: Was ist mit alternativen Schulformen wie zum Beispiel Waldorfschulen?
Heinzlmaier: Das
ist schlicht eine Flucht der gut gebildeten Mittelschichten, die weiter
Wert auf eine umfassende, auch kulturelle Bildung legen. Die
Alternativen zum staatlichen Bildungssystem sind da. Doch die kann sich
eine vierköpfige Familie aus Berlin-Marzahn nicht leisten, also helfen
sie nur den Reichen. Ich bin kein Illusionist. Technisches und
arbeitsmarktorientiertes Wissen muss in den Schulen unbedingt vermittelt
werden, aber nicht allein. Der Verzicht auf kulturelle Bildung wird
unsere demokratische Grundordnung über kurz oder lang gefährden, weil
der Nachfolgegeneration die politische Urteilsfähigkeit fehlt.
Die Welt: Dennoch sind geisteswissenschaftliche Studiengänge wie Germanistik seit Jahren komplett überlaufen.
Heinzlmaier: Viele
junge Menschen haben nach wie vor das Bedürfnis nach humanistischer
Bildung. Deswegen ist das Interesse an diesen Studiengängen immer noch
groß. Aber auch hier ist es kein Geheimnis, dass die Wirtschaft immer
mehr Einfluss darauf nimmt, was an den Hochschulen in Lehre und
Forschung stattfindet.
Die Welt:
Forscher sagen, Jugendliche seien durch Leistungsdruck verunsichert.
Gleichzeitig konstatieren Sie, die Jungen wünschten sich mehr klare
Vorgaben. Wie passt das zusammen?
Heinzlmaier: Die
meisten Jugendlichen heutzutage sind Pragmatiker. Die wissen genau, wie
ihnen der soziale Aufstieg gelingen kann. Um erfolgreich zu sein,
müssen sie sich an die Normen und Regeln des Neoliberalismus anpassen.
Gleichzeitig stehen sie dank der vielen Wahlmöglichkeiten heutzutage
unter einem permanenten Entscheidungsdruck. Viele von ihnen sagen: "Die
Welt ist zu komplex, wir hätten es gern wieder etwas einfacher."
Die Welt: Wofür stehen Jugendliche heute auf?
Heinzlmaier: Für
ihre eigenen Interessen. Wenn die infrage stehen, gehen die jungen
Leute auch auf die Straße. Nehmen Sie die Demonstrationen in der ganzen
Welt: Den Protesten in Spanien zum Beispiel liegen überwiegend
materielle Interessen zugrunde. Diese Leute sorgen sich um ihren
Arbeitsplatz, ob die Umstände günstig sind, eine Familie zu gründen, um
ihren sozialen Status. Aber dem liegen keine weiter reichenden Werte
zugrunde.
Die Welt: Was sollte falsch daran sein, auf diese Art seine Zukunft mitzubestimmen?
Heinzlmaier: Weil
es nur noch um Einzelinteressen geht, nicht mehr um das
gesellschaftliche Ganze. Wo früher die Orientierung an Traditionen
Sicherheit gab, herrschen heute Beliebigkeit und Unübersichtlichkeit.
Und an die Stelle von sozialen und beruflichen Kompetenzen ist vielfach
die Selbstvermarktungsfähigkeit getreten. Das Produkt, das die Jugend
primär verkauft, sind sie selbst.
Die Welt:
Fühlen sich ältere Generationen vom Zweckoptimismus der Jüngeren
beleidigt, weil sie für vermeintlich höhere Ideale gekämpft haben?
Heinzlmaier: In
der Tat. Diese Ökonomisierung der Bildung ist ein Schlag ins Gesicht
der 68er-Generation. Die haben noch in größeren Dimensionen gedacht,
haben über die Dritte Welt, die Hochschulreform, Sozialgesetze und
demokratische Mitbestimmung gestritten. In den 90er-Jahren kam dann so
langsam der Umbruch in eine Ego-Gesellschaft. Auch viele der 68er haben
sich korrumpieren lassen. Deswegen hat die ganze 68er-Bewegung bei den
Nachfolgegenerationen an Ansehen verloren. Mittlerweile hat sich der
Tenor durchgesetzt: "Wir wollen etwas leisten, und wir wollen dafür auch
materiell entschädigt werden."
Die Welt:
Die Autoren der letzten Sinus-Jugendstudie haben aber auch
festgestellt, dass sich Jugendliche in Deutschland eine eigene Familie
wünschen, aber es schwierig finden, den richtigen Zeitpunkt für die
Familienplanung zu erwischen.
Heinzlmaier: Die
Familie stellt den letzten geschützten Rückzugsraum in dieser
Gesellschaft dar, ein nach außen abgeschlossenes System, in dem sich der
Mensch aufgehoben fühlen kann. Je unwirtlicher die Welt da draußen ist,
desto wichtiger werden die kleinen Lebenswelten. Insofern ist die Suche
nach Geborgenheit fast eine Art Reflex auf die wachsende Unsicherheit
in unserer Gesellschaft.
Die Welt: Wie werden aus jungen Menschen dann "Egoisten" und "Performer"?
Heinzlmaier: Letztlich
geht es um Erfolg, Image und Konsum. Wichtiger als, wie ich mich fühle,
ist, wie die anderen mich sehen. Wie sehe ich aus? Welche Statussymbole
habe ich? Dieses Verhalten lernen Kinder und Jugendliche schon sehr
früh, und sie lernen auch, sich selbst gut zu verkaufen. Die neuen
Medien verstärken dieses Bedürfnis nach Selbstdarstellung und
Selbstvermarktung nur noch. Aber notwendig glücklich wird man nicht,
wenn man tagtäglich eine Rolle spielt, mit der das eigene Selbst wenig
bis nichts zu tun hat.
Die Welt: Was müsste sich also ändern?
Heinzlmaier: Zum
einen müssen wir anfangen, die Probleme der Jugendlichen wieder ernst
zu nehmen. Oft genug höre ich: Was haben die zu meckern? Denen geht es
im Vergleich zu den früheren Generationen doch richtig gut. Auf der
anderen Seite müssen wir wegkommen von einer Lebenshaltung, in der es
nur um materielle Güter geht, und von einer Bildungspolitik, die nur den
Interessen der Wirtschaft dient. Wir brauchen eine neue Bewegung aus
der Zivilgesellschaft heraus, wenn humanistische Werte in unserem
Bildungssystem wieder eine Rolle spielen sollen. Wenn das nicht
passiert, sehe ich für die Jugend schwarz."